„Du hast so viele Möglichkeiten. Wenn es eine lästige Pflicht für Dich ist, morgens aufzustehen, und Du nicht regelmäßig lächelst, versuch es mal mit einer anderen Möglichkeit.“ – Steven D. Woodhull
Mein Kollege, der hinter mir saß, hatte sich verlobt. Stolz pinnte er sein Verlobungsfoto an die Wand seines Arbeitsplatzes. Dann schaute er zu mir rüber und stellte fest:
„Ist Dir schon mal aufgefallen, dass das, was die Leute an ihrer Bürowand haben, ein Spiegel dessen ist, was ihnen am wichtigsten ist?“
Ich bemerkte, dass die Wand meines Arbeitsplatzes die einzige im ganzen Büro war, die nicht voller Fotos von pausbäckigen Babys und anderen Lieben war.
Im Gegenteil – ich hatte gar keine Familienfotos aufgehängt. Meine „Präsentation“ war eine Collage von Postkarten aus Städten, die ich unbedingt noch sehen wollte, und Orten, an denen ich schon gewesen war.
Dieser Unterschied verwirrte mich und ich fragte ihn, was denn mein Arbeitsplatz über mich aussagte. Ganz nüchtern sagte er:
„Du willst hier raus.“
Wie konnte es sein, dass mich ein flüchtiger Bekannter von der Arbeit besser kannte als ich mich selbst?
Das hätte mir zu denken geben müssen, wenigstens ein bisschen. Heute ist mir unklar, warum ich das Warnzeichen ignoriert habe, aber zu der Zeit war es für mich normal, die offensichtlichen Dinge zu übersehen.
Immerhin hatte ich sorgfältig jeden Aspekt meines Lebens geplant:
Von der Stadt, in der ich lebte, bis hin zu dem Unternehmen, in dem ich arbeitete.
Ich hatte ganz aktiv meine Karriere in der Werbung verfolgt.
Ich hatte mich in einem Master-Programm für Grafikdesign eingeschrieben und als Beste bestanden, nur um meinen vermeintlichen Traum, in einer großen Werbeagentur zu arbeiten und in einer schnellen, hektischen Stadt zu leben, zu verwirklichen.
Glücklich war ich nicht.
Ich wusste nicht, dass die Mehrheit der Menschen auf der Welt sich nicht jeden Abend in den Schlaf weint – so wie ich es tat.
Ehrlich gesagt kamen die Tränen sogar mit mir ins Büro.
Ich dachte, es sei normal, im Badezimmer des Büros zu heulen.
Die Tatsache, dass ich innerhalb von drei Jahren in fünf verschiedenen Städten gelebt hatte, erschien mir überhaupt nicht seltsam.
Oder dass jeder, den ich kannte, anfing, sich etwas zur Hochzeit zu wünschen und Farben fürs Haus auszusuchen, während ich viel lieber neue Stempel in meinem Reisepass sammelte.
Mir kam nie die Idee, dass mein wahres Glück vielleicht woanders auf mich wartete.
Nachdem mein Kollege mir also die Augen geöffnet hatte, beschloss ich, herauszufinden, warum ich fliehen wollte und warum ich allein war, während alle anderen Hochzeiten planten und Kinder bekamen.
Ich beschloss also, es mit diesem Ding „Liebe“ einfach mal auszuprobieren – da schien ja doch etwas dran zu sein.
Also nahm ich allen Mut zusammen und verabredete mich mit mir selbst.
Das erste Treffen war ganz unaufregend:
Ich lud mich und meinen Laptop auf einen Kaffee ein.
Schon während ich den ersten Satz schrieb, wusste ich es: Wie am Anfang jeder intensiven Affäre wollte ich jede Sekunde mit dem Objekt meiner Begierde verbringen.
Vier Jahre lang hatte ich mich nicht ein einziges Mal krankschreiben lassen oder Urlaub genommen – nun meldete ich mich krank, um den ganzen Tag mit meiner neuen Liebe verbringen zu können:
Meinem schreibenden Ich.
Ich hatte meine Leidenschaft gefunden
und wollte sie mit der Welt teilen – also flog ich mit meinem schreibenden Ich in die Flitterwochen in die Stadt der Liebe: Paris. Zwei Wochen lang war ich auf Flitterwochen verreist – voller Entdeckungen, Erstaunen und Ehrfurcht. Und ich schrieb jeden Tag.
Auf eine plötzliche Laune hin schickte ich einige meiner Reiseblogs an Herausgeber und Verlage – ein paar Monate später bekam ich tatsächlich einen Brief eines Herausgebers zurück. „Herzlichen Glückwunsch, Ihre Geschichte wurde ausgewählt und wird in unserem kommenden Buch erscheinen.“
Noch bevor ich den Brief zu Ende lesen konnte, hatten meine Knie schon nachgegeben und ich saß auf dem Boden. Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben heulte ich dicke Freudentränen: Da war ein Licht am Ende meines dunklen Tunnels.
Ich würde bald eine veröffentlichte Autorin sein – ich hatte nie gewusst, dass das mein Traum gewesen war, bis ich mein Herz hatte sprechen lassen.
Nun wusste ich, was zu tun war:
Ich musste mich von der Werbebranche verabschieden.
Und wie es mit dem Schlussmachen bei jeder Beziehung ist, bekam ich Angst. Ich machte mir Sorgen, wo ich das Geld für meine Rechnungen her bekommen sollte und wo ich als Autorin von Reiseberichten leben sollte. Also blieb ich, wo ich war – elendig und depressiv.
Letztendlich hatte ich aber Glück:
Ich wurde gefeuert und bekam eine saftige Abfindung, die mir den Mut gab, meine neue Karriere zu starten und die Welt zu bereisen.
Der Originalartikel „My secret love affair“ ist auf ihrem Blog Playwiththeworld sowie in „Chicken Soup for the Soul: Find your Happiness“ erschienen.
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